Zumeist sind zu Beginn die ersten Schritte gemacht, aber ungenügend umgesetzt, und es ergeben sich typische Beschwerden wie:
- „Ich brauche ein neues Analytics-Tool. Das aktuelle liefert nicht die Zahlen, die wir brauchen, und niemand versteht es wirklich.“
- „Ich bekomme jeden Monat einen Report, aber der bringt mir nichts. Welche Empfehlungen stecken in den Zahlen?“
- „Ich kann die einzelnen Kanäle nicht miteinander vergleichen. Die Mediaabteilung hat andere Zahlen als Social und die Ziele sind unterschiedlich.“
- „Ich kann den Zahlen nicht vertrauen. Unsere Mediaagentur/Warenwirtschaft sagt, wir hatten 100 000 Euro Umsatz und im Analytics-Tool steht eine andere Zahl.“
- „Wir wollen die User Journey verstehen und über Machine Learning personalisieren, haben aber keine Erfahrung mit Big Data.“
Erkennen Sie sich in den Beispielen wieder? Falls ja, keine Sorge: Sie sind damit nicht allein, ganz im Gegenteil. Der Großteil der Unternehmen steht vor den gleichen Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, muss im ersten Schritt eine objektive Bestandsaufnahme erfolgen. Sobald die Lücken eingegrenzt und benannt sind, können sie geschlossen werden.
Erfolgsfaktoren und Stolpersteine
Für die strukturierte Bewertung des Status Quo gibt es verschiedene Reifegradmodelle, die herangezogen werden können. Hierzu haben unter anderem Gary Angel und Stéphane Hamel sehr gute Methoden veröffentlicht, die sich schnell im Netz finden lassen. Die nachfolgende Unterteilung ist an diese Modelle angelehnt und erfolgreich in der Praxis erprobt.
- Strategy
- Capability
- Technology
- Processes
- Insights
Jeder dieser Aspekte trägt maßgeblich zum Erfolg bzw. Misserfolg des datengesteuerten Onlinemarketings bei. Aber was versteckt sich genau hinter diesen Punkten, wie werden sie bewertet und welche konkreten Maßnahmen können zur Verbesserung ergriffen werden?
Die Details zu den einzelnen Punkten finden sich in den folgenden Abschnitten. Die initiale Bewertung kann sehr einfach gestaltet werden, indem in einer Selbsteinschätzung Punkte auf einer Skala von 1 (gar nicht erfüllt) bis 5 (vollständig erfüllt) vergeben werden. Auch wenn diese subjektive Bewertung zuerst nur oberflächlich ist, hilft dies bereits ungemein weiter. In der Regel lassen sich hieraus auch bereits die ersten Verbesserungspotenziale ableiten und es lässt sich eine Weiterentwicklung anstoßen.
Strategy
Oft werden die Anforderungen an den Umgang mit Daten durch das Management zu unspezifisch artikuliert. Frei nach dem Motto „Wir müssen was mit Daten machen!“ gibt es keine klare Definition der eigentlichen Absichten. Dies führt in der Folge zu vermeidbaren Un- bzw. Missverständnissen in der Organisation. Der Bereich Strategy umfasst daher drei essenzielle Punkte, die zur klaren Definition der Erwartungen dienen:
- Vision
- Business Case
- Data Culture
Im Hinblick auf die Vision stellt sich die Frage, ob eine klare Definition hinsichtlich der angestrebten Verwendung von Daten existiert und diese innerhalb des Unternehmens kommuniziert und verstanden ist. Die Formulierung kann dabei im Rahmen weniger Absätze, Präsentationsfolien oder dergleichen erfolgen. Aus dem einfachen Satz „Wir müssen was mit Daten machen!“ wird so schnell ein umfangreicheres Leitmotiv wie zum Beispiel: „Daten unterstützen unser Unternehmen darin, informierte Entscheidungen zu treffen und moderne Techniken des Onlinemarketings umzusetzen.“ Auch dieses neue Leitmotiv kratzt natürlich nur an der Oberfläche, aber es bietet zumindest einen direkten Anknüpfungspunkt für die weitere Konkretisierung der Vision. Denn einmal in den Raum gestellt, ergeben sich Folgefragen nach der Natur der Daten, wie diese Entscheidungen beeinflussen und welche Techniken überhaupt eingesetzt werden können. So ergibt sich schnell eine umfassende Definition, die alle relevanten Überlegungen einfach beschreibt.
Im Weiteren wird für den Business Case betrachtet, ob relevante Key Performance Indicators (KPI) definiert sind, die zur tatsächlichen Steuerung des Unternehmens- bzw. Marketingerfolgs herangezogen werden. Allzu oft werden statt echter KPIs einfache Metriken wie zum Beispiel Seitenaufrufe oder die durchschnittliche Verweildauer zur Bewertung von Marketingmaßnahmen herangezogen. Besser geeignet sind Kennzahlen, die klar auf die Geschäftsziele einzahlen und in einem Kontext stehen. So bildet beispielsweise eine Konversionsrate für ein Registrierungsformular eine weitaus bessere Information als die reine Betrachtung der Anzahl der Registrierungen.
Analog verhält es sich mit dem durchschnittlichen Umsatz pro Kunden, im Vergleich zum Gesamtumsatz. Durch den Bezug der KPI zu einer Ausgangsbasis wird es erleichtert, Zielwerte zu definieren, anhand derer dann ausgewertet werden kann, welche Marketingaktivitäten besser und welche schlechter funktionieren.
So einfach diese Überlegung erscheint, so häufig wird es versäumt, genau diese Zielsetzung bei der Beauftragung einer Kampagne, Umsetzung einer neuen Funktionalität und dergleichen festzuhalten. In der Folge kann es dazu kommen, dass die eigentlich benötigten Informationen zur Erfolgsbewertung gar nicht oder nur unzureichend zur Verfügung stehen. Um das zu vermeiden, können verschiedene Ansätze wie zum Beispiel das Digital Marketing and Measurement Model von Avinash Kaushik verwendet werden.
Die Data Culture steht für den Grad, in dem Daten Eingang in tägliche Entscheidungsprozesse finden und wie stark dies gefordert und gefördert wird. Hierunter fallen Maßnahmen wie regelmäßige Meetings, in denen die Implikationen aus den Daten diskutiert und entsprechende Ableitungen getroffen werden. Dabei steht hinsichtlich der Reifegradbewertung weiterhin im Vordergrund, ob Reports oder bereits aufgearbeitete Insights als Entscheidungsvorlage genutzt werden. Im Weiteren fließt in die Betrachtung ein, ob die verfügbaren Informationen nur sporadisch oder kontinuierlich genutzt werden. Zur Verbesserung dieses Aspekts eignen sich Vorgaben zur Freigabe und Durchführung einer Marketingaktivität sowie wiederkehrende Termine mit allen Verantwortlichen.
Capability
Den zweiten Erfolgsfaktor stellt die Leistungsfähigkeit der Organisation dar. Darunter fallen sowohl die individuelle Expertise der einzelnen Mitarbeiter als auch die Abteilungsstruktur bzw. Verteilung der Verantwortlichkeiten. Liegt hier ein geringer Reifegrad vor, ist den Beteiligten oft unklar, wer für welches Thema der richtige Ansprechpartner ist (z. B. Content Testing, Attributionsmodellierung). Hieraus können sich mitunter redundante Initiativen hinsichtlich einer Anforderung entwickeln, wobei die eigentlich verantwortliche Abteilung bzw. Person bereits eine bessere Lösung verfügbar hat.
- Operating Model
- Roles and Responsibilities
- People Growth
Unter Roles and Responsibilities werden die Tätigkeitsbereiche der einzelnen Mitarbeiter klar definiert. Idealerweise erfolgt dies im Zuge des regulären Arbeitsvertrags. Es sind aber auch ergänzende schriftliche Vereinbarungen zu diesem denkbar. Wichtig ist, dass hier eine tatsächliche Klarheit besteht und nicht etwa Verantwortlichkeiten beiläufig zugeteilt werden. Wenn dem SEO-Manager auf einmal aus heiterem Himmel gesagt wird, er solle sich auch um die Google-Analytics-Implementierung kümmern, kann das im schlimmsten Fall dazu führen, dass beide Punkte nur halbherzig erledigt werden. Im Weiteren wird neben der Zuordnung der Verantwortlichkeiten auch betrachtet, ob die definierten Rollen innerhalb des Unternehmens transparent kommuniziert sind.
Unter People Growth wird erfasst, welche konkreten Pläne es zur Weiterentwicklung der Mitarbeiter gibt. Entlang der zuvor beschriebenen Roles and Responsibilities sollte ein klar definiertes Angebot an Weiterbildungsmaßnahmen existieren. So können beispielsweise spezifische Toolkenntnisse als Voraussetzung für eine Beförderung und dergleichen etabliert werden. Ziel ist, im Idealbild einen Karrierepfad aufzuzeigen, der verschiedene Abzweigungen im Sinne der Spezialisierung auf einen Teilaspekt erlaubt.
Technology
Innerhalb des Bereichs Technology wird betrachtet, wie gut die technische Infrastruktur auf die Anforderungen abgestimmt ist. Des Weiteren spielen hier der Planungshorizont sowie die Rahmenbedingungen der Lizenzvereinbarungen eine wesentliche Rolle. Ein geringer Reifegrad äußert sich an dieser Stelle häufig in Datensilos, das heißt Technologien, die voneinander abgeschottet Daten erfassen und nicht miteinander kommunizieren können. Da es insbesondere für die Betrachtung komplexer User Journeys über mehrere Plattformen, Geräte etc. notwendig ist, genau diese Verknüpfung zu gewährleisten, sollte hierfür eine übergeordnete Datenbankstruktur genutzt werden. Diese wird häufig als Data Management Platform (DMP) oder Customer Data Platform (CDP) bezeichnet. Der Unterschied besteht dabei lediglich darin, dass in der CDP auch persönliche Informationen der Nutzer (PPI wie z. B. Name, Adresse etc.) liegen.
- Vendors
- Roadmap
- Training and Support
Unter dem Aspekt Vendors wird abgebildet, welche Toolanbieter für welche Funktionalitäten genutzt werden. Dies kann in einem Schaubild erfolgen, das zudem die Verknüpfung zwischen den einzelnen Tools darstellt. Fehlt ein solcher Überblick, kann es leicht dazu kommen, dass von unterschiedlichen Fachabteilungen mehrere verwandte Tools für ähnliche Aufgaben eingesetzt werden. Um das zu vermeiden, sollte die zuvor beschriebene Aufstellung erstellt werden. Hierdurch wird auch schnell klar, an welchen Stellen gegebenenfalls noch Lücken bestehen. In der Regel bietet es sich an, diesen Schritt in enger Zusammenarbeit der Marketingabteilungen und der IT durchzuführen. Das sollte allerdings nicht bedeuten, dass der IT-Abteilung die Entscheidung hinsichtlich der Verwendung und des Umfangs der Tools obliegt.
Der Punkt Roadmap beschreibt den Planungshorizont hinsichtlich der eigenen Infrastruktur in Abhängigkeit zu den geplanten Entwicklungen der lizenzierten Toolanbieter. Im Fall einer bestehenden Partnerschaft sollte hierzu kontinuierlich erfragt und erfasst werden, welche Neuerungen bei den Toolanbietern geplant sind. Diese Information fließt im Anschluss in das eigene Zielbild ein, sodass auf dieses hingearbeitet werden kann. Fehlt eine solche Betrachtung in der Planung des Toolstacks, kann es im schlimmsten Fall dazu kommen, dass man sich komplett von einem Anbieter abhängig macht oder langwierig IT-Projekte mit hohem Aufwand in eine Sackgasse laufen.
Im Hinblick auf Training und Support sollten klare Vertragsvereinbarungen geschlossen werden, die es nicht nur ermöglichen, eine gewisse Anzahl interner Mitarbeiter gemäß deren People Growth Plans weiterzubilden, sondern auch den Support klären. Hierbei ist ein First Party Support mit dediziertem Ansprechpartner einem einfachen Ticketsystem vorzuziehen. Wichtig ist es, in jedem Fall sicherzustellen, dass schnelle Abhilfe bei technischen Problemen geleistet werden und auch Sonderfälle schnell gelöst werden können.
Processes
Ein weiterer wesentlicher Erfolgsfaktor sind klar definierte Prozesse. Diese helfen dabei, zielgerichtet Anfragen zu formulieren und zu bearbeiten. Häufig existierend keine klaren Abläufe und es kommt dadurch zu Verzögerungen, Datenlücken oder Mehraufwänden aus Rückfragen. Eine Auflistung und anschließende Definition der Abläufe können hier schnell weiterhelfen und zu einem reibungslosen Ablauf beitragen.
- Enablement
- Analytics Engagement
- Governance
Unter dem Aspekt Enablement wird erfasst, in welcher Form die Datenerfassung und Aufbereitung stattfindet. An dieser Stelle ist das Ziel, eine möglichst hohe Standardisierung und Automatisierung im Hinblick auf das reguläre Reporting zu erreichen. Zum einen verringert sich dadurch die Wahrscheinlichkeit, manuelle Fehler in der Erfassung und Aufbereitung der Information zu verursachen; zum anderen reduziert sich der Aufwand für das wiederkehrende Berichtswesen und die freigewordenen Ressourcen können für werthaltigere Auswertungen genutzt werden. Grundlage für einen höheren Reifegrad ist eine gleichbleibende Taxonomie innerhalb der Daten und Berichte.
Oft wird der Aspekt Governance vernachlässigt. Die Konsequenz sind fehlerhafte bzw. verunreinigte Daten, die alle weiteren Arbeitsschritte unnötig erschweren. Dies tritt insbesondere dann auf, wenn keine wiederkehrenden Intervalle zur Überprüfung definiert sind. Beispielsweise kann das im Fall von Webanalysetools wie Google Analytics oder Adobe Analytics heißen, dass eine initiale Implementierung mehrere Monate oder gar Jahre läuft und aufgrund von Änderungen an der Webseite ein Teil der definierten Daten nicht mehr erfasst wird.
Ein weiteres Beispiel ist die Anbindung einer Formularstrecke an das Warenwirtschafts- oder CRM-System. Wird hier eine Anpassung von Formularfeldern vorgenommen, ist sicherzustellen, dass der Datenbestand gleichbleibt und keine Einträge überschrieben werden. Ist hierzu kein klarer Prozess definiert, kann es schnell zu nur sehr aufwendig zu behebenden Fehlern kommen. Insbesondere bei A/B-Tests und ähnlichen Maßnahmen kann dies auftreten, wenn es keine Koordination zwischen den relevanten Verantwortlichen gibt.
Insights
Abschließend steht der Aspekt Insight, der den eigentlichen Output aus den Daten darstellt. Hier wird genauer auf die Bereiche der Reporterstellung und die Ableitung von Interpretationen und Handlungsempfehlungen eingegangen. Dabei steht im Fokus, ob die richtigen Informationen im richtigen Format an die richtigen Adressaten kommuniziert werden, und wie diese im Anschluss weiterverfahren.
- Report Generation
- Insight Generation
- Action Taken
Unter Reportgeneration fallen Punkte rund um das laufende Berichtswesen. Hier lassen sich schnell Abweichungen zu den Anforderungen feststellen. Diese werden deutlich, wenn beispielsweise Informationen nicht zeitnah zur Verfügung gestellt werden oder Reports direkt in der Schublade landen, weil sie nur aussageschwache Kennzahlen ohne Kontext darstellen. Ziel ist, solche Reports einzustellen und durch gehaltvollere zu ersetzen. Noch besser ist es, neben Reports einen direkten Zugang zu zuvor definierten Dashboards zu schaffen. Hierdurch können einfache Informationsbedürfnisse direkt und jederzeit befriedigt werden.
Abschließend wird unter Action Taken betrachtet, zu welchem Grad die Daten im operativen Betrieb genutzt werden. Im schlechtesten Fall existieren zwar Handlungsempfehlungen, werden aber ignoriert oder können aus anderen Gründen nicht umgesetzt werden. Das Ziel ist es stattdessen, stets auf Basis der Empfehlungen oder Hypothesen zu agieren, Neuerungen zu testen und sich anhand der gemessenen Ergebnisse kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Auswertung der Planung der nächsten Schritte
Sobald der aktuelle Reifegrad entlang der oben beschriebenen Erfolgsfaktoren bestimmt wurde, können die nächsten Schritte geplant werden. In der Auswertung sollte bereits deutlich werden, in welchen Punkten der größte Nachholbedarf besteht. Genau diese Punkte sollten auch zuerst angegangen werden, denn die Möglichkeit, wirklich datengesteuertes Onlinemarketing zu betreiben, hängt vom harmonischen Zusammenspiel der einzelnen Faktoren ab. Das heißt, der Nutzen eines insgesamt mittleren Reifegrades über alle Faktoren hinweg ist höher einzuschätzen als ein Reifegrad mit starken Ausreißern. Denn selbst das beste Tool-Set-up kann nur durch kompetente Anwender und sinnvolle Prozesse wirklich effizient genutzt werden.